Vulkanausbruch auf La Palma

Vulkan Tajogaite

Erschienen im Reiki Magazin 2/22 (April-Juni)

Reiki-Lehrerin Anita Siegrist Schmid schildert ihre Erfahrung „von einem blühenden Paradies zu einem Erwachen aus der Lava-Asche“.

Bis zum 19. September war bei mir die Welt noch in Ordnung. Wir pflegten einen großen biologisch geführten Garten, mit Gemüsegarten, vielen exotischen Fruchtbäumen und feinen Heilkräutern. Ich liebte meinen Garten und unser altes kanarisches Steinhaus, unsere Casa Paquita, mit ihren heimeligen Holzdecken. Unser angebauter Wintergarten erfreute uns mit einer tollen Aussicht auf die Vulkankette, unseren Rosengarten und das Meer. Es war sehr idyllisch.
Mein Mann und ich saßen oft unter unserem großen, alten Niembaum und plauderten über unser Leben, unsere Erfahrungen und unsere vielen Reisen. Unsere letzte größere Reise hatte uns nach Japan geführt. Ich hatte mir schon immer gewünscht, einmal an die Wurzel, an den Ursprung von Reiki, von Mikao Usui, zu gehen. 2018 war es dann soweit gewesen. Mich berührten die Gräber am Saihoji-Tempel in Tokio, wo auch die Grabstätte von Mikao Usui und der Gedenkstein für ihn stehen. Die Gräber dort kamen mir vor wie Räume der jeweiligen Verstorbenen mit Figuren und Pflanzen. Beeindruckend! Ich spürte eine große Dankbarkeit, dort sein zu dürfen.

Erdbeben

September 2021: Mein Mann und ich trinken gerade Kaffee unter unserem großen Niembaum. Da gibt es ein heftiges Erdbeben, stärker als je zuvor, ein Knall, wie bei einer Sektflasche – und der Vulkan in unserer Nähe bricht unerwartet aus. Zuerst große Faszination. Oh! Ah! Bald stand die Polizei da, und es hieß: „Sofort evakuieren!“ Das Nötigste war bereits gepackt für zwei bis drei Tage, und so wurden wir angeordnet. Das war das letzte Mal, dass wir unsere Casa Paquita sahen. Zum Glück durften wir zu einer lieben Freundin, die auf der anderen Seite des Tals wohnt, wo man in Sicherheit war. Das Tönen, das Grollen, die Beben waren unheimlich. So entschlossen wir uns schon bald aus gesundheitlichen Gründen, auch wegen der Giftgase, zu unserem Sohn nach Teneriffa zu fahren.

Black Valley - Orangen unter der Asche

Lava-Asche

Überall auf die Straßen, die Häuser, die Dächer, ja auf alle Blumen und Pflanzen hatte sich die schwarze Lava-Asche gelegt, die der Vulkan ausgespuckt hatte. Es lag eine Melancholie in der Luft. Die Leute waren ge- und bedrückt. Der Vulkan hat viel Leid ins Tal gebracht – so viele haben alles verloren, wie auch wir. Das Dröhnen und die Beben erschütterten das Tal. Die atemberaubenden Fontänen und faszinierenden nächtlichen feuerroten Szenen brachten den Obdachlosen weder Ruhe noch Freude. Die Lebensenergie, die im Aridane-Tal sonst überfloss, erstickte unter der feinen Asche. Atemlos, wie die Menschen im Tal.
Ich glaubte, mit der Reiki-Kraft, dem Universum, könnte ich den Lavastrom aufhalten – doch … die Naturgewalt war stärker! Alles, unsere exotischen Früchte, unser Bio-Garten und viele seltene Blumen und Sträucher, 1.700 Quadratmeter Land fielen der Lava zum Opfer. Unser ganzes an sich als „sorgenfreier Alterssitz“ gedachtes Haus. Wir konnten nichts mehr aus dem Haus holen, retten. Nun haben wir so gut wie gar nichts mehr!

Alles, was mir lieb ist, ist nun unter dem Lavastrom. Alle meine vielen interessanten Bücher, auch Reiki-Bücher, Reiki Magazine, meine ersten Reiki-Meister-Rundbriefe, ich glaube aus dem Jahr 1993. Sicher war für mich, dass ich die vier Sonderhefte und das letzte Reiki Magazin gerne wieder haben möchte. (Oliver Klatt hat sie mir bereits liebevoll zukommen lassen.) – Ich brauchte viel Zeit, um alles zu realisieren, zu verstehen, was das heißt: Nichts mehr zu haben …

Vulkan Tajogaite (September 2021)

Finca Sana

Unsere ehemalige Finca Sana, die 200 Meter tiefer lag als das Haus – da, wo ich die meisten Reiki-Behandlungen und -Einweihungen durchführte – wurde ebenfalls von der Lava überrollt. Es war eine Oase der Ruhe gewesen, ein parkähnliches Grundstück, 4.000 Quadratmeter groß, mit vielen Obstbäumen, Blumen und Bio-Garten. Ich hatte mir immer ein Kurhaus gewünscht. Und hier war mein Traum in Erfüllung gegangen. Viele Leute kamen in die Ferien zur Kur, oder sie nutzten unsere Angebote wie Entspannungsmassage, Gesprächstherapie, Coaching, Reiki-Behandlung, Reiki-Einweihung und gesunde Ernährung.
Auch Ärzte wurden auf uns aufmerksam und schickten uns Patienten mit der Bitte, ob wir diesen vielleicht helfen könnten. Ich stellte fest, dass bei Tumorpatienten der Bewusst-Sein-Prozess und die Eigenverantwortung ein wichtiger Schritt zur Genesung ist. Da eignet sich Reiki sehr gut, als Behandlung und darüber hinaus. Ich habe viele Menschen in den 1. Reiki-Grad eingeweiht, so dass sie sich selber helfen konnten. Sich wieder spüren, ihre Sinnesorgane wieder wahrnehmen konnten. Die Schönheit der Blumen, das Blumenmeer, die reifen Früchte vom Baum genießen … es war für die Patienten eine Schulung der Wahrnehmung, auch in der Eigenbehandlung. Das war mir wichtig. Am liebsten hatte ich, wenn die Ehepartner dabei waren, so dass sich beide gegenseitig behandeln konnten. Im Jahr 2008 verkauften wir das Anwesen, die Finca Sana, und lebten eine Zeit lang in Thailand, bereisten die umliegenden Länder. In dieser Zeit gab ich immer wieder Reiki-Fernbehandlungen. Später kamen wir wieder zurück nach La Palma. Da lachte uns das alte kanarische Haus an, unsere Casa Paquita … jetzt liegt es komplett unter der Lava.
Ich weihte unsere Kinder Martin und Franzisca in den 1. und 2. Grad Reiki ein. Sie sind mir sehr dankbar dafür. Es gibt eine heilende Verbindung. Auch gerade jetzt, wo beide Kinder auch vieles verloren haben, die Wurzeln der Kindheit. Ich habe nur einen Menschen zum Reiki-Meister/Lehrer eingeweiht, ich konnte die Verantwortung auf Distanz nicht übernehmen, nämlich meinen lieben Mann, Simon Eugen. In den 54 Jahren unserer Liebe haben wir alle Hochs und Tiefs miteinander durchgemacht. Unstimmigkeiten wurden/werden ausgesprochen, ausdiskutiert, und es wird nach kreativen Lösungen gesucht. Wenn wir uns mal getrennt hatten, zogen wir uns bald wieder an, wie zwei Magnete, vielleicht auch durch die transpersonale Erfahrung von Simon, die er im Alter von 27 Jahren erfahren hatte, und durch meine, die ich bereits im Alter von vier Jahren erlebte! Wir sind heute ein gutes Team, jeder ist für den anderen da – die bedingungsfreie Liebe trägt uns. Ich bin glücklich und zufrieden!

Nach zwei Monaten auf Teneriffa, wohin wir nach dem Vulkanausbruch im September gezogen waren, hatten wir nun, im November, das Gefühl, wieder zurück nach La Palma gehen und uns dort neu orientieren zu können. Wir hatten Glück und fanden ein möbliertes Übergangshaus in El Paso, zur Miete.

Finca Sana

Hier und jetzt

Ich liege auf meinem Bett. Ich sehe im Dämmerzustand vor mir meinen geliebten Buddha aus Thailand, seine feinen farbigen Steinchen glitzern im Morgenlicht. Rechts daneben eine Tänzerin aus Goa, fein geschnitzt aus einem Stück Knochen. Die Tänzerin links kommt aus Nepal, Kathmandu, sehr graziös mit Gold und Blau verziert. Weiter links ein großer Amethyst mit einem fantastischen rosa bis dunkelroten Innenleben. Meine Steinsammlungen aus diversen Kristallen, Bergkristallen, und daneben eine leuchtende Salzkristalllampe. Ein Relief, einen Frauenkopf mit einer kunstvoller Haarpracht, aus einem dunklen exotischen Holz geschnitzt aus Tansania, die mich jeden Morgen anlächelt. Unterhalb von der Tänzerin aus Goa steht neben einer Meditationskerze ein tanzender Shiva. – Die Erde bebt! – Ich erwache und realisiere … das war einmal! Jetzt sind es nur noch Erinnerungen. Das alles ist zugedeckt unter der Lavamasse, auch unser großer alter Ganesha, ein Geschenk an meinen Mann, zu seinem 80. Geburtstag in Thailand, 2009.
Auch für meinen Mann Simon Eugen, der am 7. Dezember 92 Jahre alt wurde, ist es derzeit sehr schwer. Wir lebten sorgenfrei und waren weitgehend Selbstversorger. Uns laufen immer wieder die Tränen herunter, wenn wir daran denken, was geschehen ist. Auch unsere Nachbarn werden nicht mehr unsere Nachbarn sein. Es ist einfach nicht fassbar.

Black Valley

Am Sonntag, den 12. Dezember, um 12 Uhr mittags, wir wollten gerade aus dem gemieteten Haus in El Paso gehen, da explodiert es erneut im Innern des Vulkans, und eine dicke, schwarze Rauchwolke steigt auf. Plötzlich regnet es Asche, unsere Augen fangen an zu brennen, auch giftige Gase sind in der Luft. Es stinkt nach Schwefel, wie nach faulen Eiern. Wir müssen sofort zurück ins Haus. Am Montag früh wird per Autolautsprecher mitgeteilt, dass wir das Haus nicht verlassen dürfen, Fenster und Fensterläden geschlossen halten sollten. Alles ist schwarz von der Lava-Asche. Sie kommt ins Haus, durch alle Ritzen hindurch, und hinterlässt schwarze Spuren.

Erwachen

Vor zwei Tagen, am 16. Dezember, wurde der Vulkan wieder ruhig. Nur noch leichte Erdbeben. Wir hoffen, dass es so bleibt. Der Vulkan verstreut immer noch giftige Gase, welche das Atmen erschweren und die Augen reizen.

Heute, am 18. Dezember, sehe ich von meinem Schlafzimmerfenster die ersten Vögel, zurückkommen ins Aridane-Tal. Die Sonne lacht, und die Pflanzen erholen sich. Ein feiner Duft von den sich gerade öffnenden Orangenblüten erfreut mein Herz und meine Sinne. Ein Glücksgefühl macht sich breit … Das Leben geht weiter – jedoch anders, für viele Menschen im Aridane-Tal.

Endlich, am 25. Dezember, erklären die Behörden den Vulkanausbruch als beendet. Weihnachtsgeschenk! Das heißt der Ausbruch endete offiziell am 13.12.2021 um 22:21 Uhr, damit dauerte er insgesamt 85 Tage und 8 Stunden.

Was der Vulkan uns nicht nehmen konnte, ist unsere Liebe und unser Humor.

Spenden

Für alle rd. 7.000 Personen, die evakuiert werden mussten, und vor allem für jene, die alles verloren haben, Haus und Land, so wie wir, bekommen großzügige Spenden von Privatpersonen, Firmen auf La Palma, aus Spanien und von weltweit. Lebensmittel, Haushaltsprodukte, Kleider, viele Sachen auch für Kinder, Essensgutscheine. Die Reaktion von vielen Menschen ist überwältigt und rührend. Wir sind allen sehr dankbar für die Hilfe beim Wiederaufbau unseres neuen Daheims.

La Palma, im Dezember 2021

 

 

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